I. Wortgebrauch im frühen 14. Jahrhundert
Ars antiqua wird seit dem frühen 20. Jh. als Epochenbezeichnung gebraucht (wie auch Ars nova und – seit U. Günther [Das Ende der Ars nova, in: Mf 16, 1963, 105-120] – Ars subtilior ) ; allein diese Funktion macht den Ausdruck zum Terminus und gibt Anlaß zu den folgenden Darlegungen. Ausgangspunkt der Begriffsbildung ist jedoch der Wortgebrauch im frühen 14. Jahrhundert. Die Ausdrücke ars nova und ars antiqua sind Lehrschriften des früheren 14. Jh. entnommen, und zwar ars nova den Traktaten aus dem Umkreis von Philippe de Vitry (2./3. Jahrzehnt des 14. Jh.) und dem Speculum musicae des Jacobus von Lüttich (3. Jahrzehnt des 14. Jh., liber VII), ars antiqua dem letzteren sowie der Notitia artis musicae (1321) und dem Compendium musicae practicae (1322) des Johannes de Muris. Es stellt sich somit die Frage, inwieweit bei dieser Übernahme und Neuverwendung eine Sinnverschiebung stattgefunden hat und ob sie zu rechtfertigen ist. Daher gilt es, zunächst den ursprünglichen Sinn des Ausdruckes ars antiqua sowie seines Synonyms ars vetus zu ermitteln, um vor diesem Hintergrund ars...