I. Einführung1. PhänomenbeschreibungDie Variation als Veränderung eines Gegebenen ist ein Grundprinzip musikalischer und künstlerischer Gestaltung, dessen sich die Musik auf jeder Stufe ihrer Entwicklung bedient. Erst im engeren Sinn des Wortes, etwa als notiertes Thema mit Variationen, bezeichnet Variation in der europäischen Musikkultur vom 16. Jh. an auch einen Formtypus, der allerdings gegenüber freieren Formen (z. B. Variations-Suite, Variations-Canzone, Variations-Rondo) keineswegs immer streng abzugrenzen ist. Im 18. und 19. Jh. erscheint die Variationsreihe gewöhnlich als sukzessive Abfolge variierter Fassungen eines vorangestellten Themas. Als Thema kann ein kurzes melodisches Motiv, ein harmonisches Schema oder eine ausgedehnte Melodie dienen; es kann durch die gesamte Variation hindurch mehr oder weniger vollständig in der Art eines Ostinatos oder Cantus firmus wiederholt werden, wobei sich die Begleitstimmen ändern, oder es kann selbst zum Gegenstand des Variationsprozesses werden. Stammt das Thema hingegen aus dem Bestand allgemein bekannter Melodien oder Ostinatofiguren, wie dies im 16. und 17. Jh. oft der Fall ist, wird die Variationsreihe häufig ohne die einleitende Einführung des unveränderten Themas komponiert. Im 20. Jh., insbesondere in der zunächst vom Serialismus und später von der Klangfarbenkomposition geprägten Musik nach 1945, kommt die Variationsform als solche seltener vor. Dennoch zeugen auch hier die Werke zahlreicher Komponisten von...