I. Etymologie und Bedeutung des Begriffs im Altertum
Ionisch attisch ἀοιδή (seit der Ilias), ᾠδή (seit den Homerischen Hymnen), gehört zu ᾄδω »singen«, ἀοιδός »Sänger«, und bezeichnet im Epos das Heldenlied des Aoiden, das dieser zur Begleitung der Phorminx vorträgt. Damit ist ein älterer Zustand benannt, denn Ilias und Odyssee selbst sind schon Sprechdichtung im Hexameter, die vom Rhapsoden vorgetragen wird. Später bezeichnet ᾠδή lediglich Singverse im Gegensatz zu Sprechversen (Platon). Falls dabei eine bestimmte Gattung gemeint ist, muß noch ein Bestimmungswort hinzutreten, z. B. ᾠδή ἐπικήδειος Trauergesang (Euripides, Troerinnen, V. 514). Nie bezeichnet Ode also eine bestimmte lyrische Gattung.
Das gleiche gilt auch für das lat. Fremdwort ode, das erst seit Porphyrios’ Horazkommentar (3. Jh. n. Chr.) an die Stelle des ererbten carmen (zu canere, »singen«) tritt. Eine Definition ganz in diesem Sinne (Ode = gesungene Dichtung) gibt Marius Victorinus (4. Jh. n. Chr.): »ode est dulcedine soni verbum lexisve pronuntiata; nam si sine verbo sonus pronuntietur, crusma dicetur« (Grammatici Latini, Bd. 6,...