I. Schreiben über Jüdische Musik
»Jüdische Musik« ist ein modernes Forschungsgebiet, das sich gegen Mitte des 19. Jahrhunderts in jüdischen und nicht-jüdischen intellektuellen Kreisen Europas herausbildete. So sind Lexikonartikel über »Jüdische Musik« im Wesentlichen ›moderne‹ Texte, die durch neue nationale Ausformungen und Diskurse geprägt sind. Als Mitte der 1950er-Jahre in den großen Musikenzyklopädien die ersten Einträge über »Jüdische Musik« erschienen, steckten deren Verfasser mit den von ihnen gewählten Narrativen das Themengebiet ab. Es wurden dabei die Kriterien festgeschrieben, nach denen Konzepte, Genres, geografische Gebiete, Perioden, Stile, Autoren usw. entweder einbezogen oder ausgeklammert wurden. Die Beiträge waren natürlich auch stark davon geprägt, welchen Zugang ihre Verfasser zu den entsprechenden Quellen hatten, so dass der Inhalt dieser Texte auch durch ein gewisses Maß an Zufälligkeit bestimmt wurde. Ihrerseits hatten die Texte wiederum einen prägenden und stimulierenden Einfluss auf musikalische Kreativität, Aufführungen, Tonaufnahmen, auf Rezeption und Kritik, wodurch ein teleologischer Prozess in Gang gesetzt wurde, durch den sich diese Akte des »Schreibens über jüdische Musik« im Zuge der Etablierung des Forschungsbereiches gegenseitig speisten. »Texte« umfassen in diesem Zusammenhang so unterschiedliche Schriftwerke wie Bücher, wissenschaftliche Artikel, Musikanthologien, Zitatensammlungen zu...