Canticum (lat.) war im klassischen Latein ein Oberbegriff für Gesang. Das Wort behielt seine umfassende Bedeutung im MA., wo es häufig sowohl für weltliche als auch für geistliche Gesänge verwendet wurde. Seine weit verbreitete Anwendung spiegelt sich in den hiervon abgeleiteten Wörtern der europäischen Sprachen wider, z.B. dem span. cantiga, dem frz. cantique, dem ital. cantico und dem engl. canticle. Für den Musikhistoriker ist jedoch der engere biblische und liturgische Gebrauch von vorrangigem Interesse. Canticum (griech. ῲδή, dt. Ode) ist die Bezeichnung für jene biblischen Gesänge, die den Psalmen in Stil und Form sehr ähneln, aber nicht im Psalter, sondern in den anderen Büchern vorkommen. Unter diesen finden sich drei Beispiele im NT (alle im 1. und 2. Kap. des Lukas-Evangeliums): das »Magnificat«, das Maria bei ihrem Besuch bei Elisabeth anstimmt (Secundum Lucam 1,46-55), das »Benedictus Deus«, gesungen von Zacharias bei der Beschneidung seines Sohnes Johannes (ebd. 1,68-79), und das »Nunc dimittis«, das Symeon bei der Darstellung des Jesuskindes im Tempel singt (ebd. 2,29-32). Wesentlich mehr Cantica überliefert das AT, z.B. »Cantemus Domino«, gesungen von Moses nach...