Der 1901 von der Bibliothek des Kreismuseums von Königgrätz (Hradec Králové) erworbene Codex Speciálník (CZ-HK, II A 7) gehört zu den größten Sammlungen des späten 15. und 16. Jh. mit mehrstimmiger geistlicher Musik. Das Wort »speciálník« weist auf die Besonderheit der Quelle hin, die ein komplexes Bild der musikalischen und liturgischen Praxis der böhmischen Renaissance vermittelt. Der Codex überliefert einen bemerkenswert vielfältigen Werkbestand von 227 Stücken, die von einfachen mehrstimmigen Bearbeitungen der Gesänge des Meßordinariums (mit Ausnahme des Agnus Dei) über Stücke von lokaler oder regionaler Bedeutung bis hin zu bekannten Kompositionen wie Josquins vierstimmiger Motette »Ave Maria, gratia plena« reichen, und spannt einen stilistischen Bogen vom 14. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Eine fragmentarische Inschrift auf der Innenseite des vorderen Einbanddeckels besagt, daß ein gewisser Michal Muratt den von ihm als »speciálník« bezeichneten Codex 1611 der Sankt-Peter-Kirche geschenkt hatte. Über den Ursprungsort der Hs. ist nichts Genaues bekannt. Man nimmt an, daß der Codex für eine Prager Literatenbruderschaft (confraternitas litteratorum) kompiliert wurde. Im Unterschied aber zu anderen Handschriften, die von den Literatenbruderschaften der tschechischen Utraquisten angefertigt und von ihren Chören benutzt wurden wie der für die Weihe des Corpus-Christi-Altars...