I. Einleitung Kultur in eine Gastkultur zu übertragen funktionierte spätestens seitdem die Universalsprache der Gelehrten, das Lateinische, seine Bedeutung verlor, fast ausschließlich durch Übersetzung von Texten (oder auch die Übernahme von bildlichen Darstellungen), die dann zum Ausgangspunkt für die Entwicklung, Erneuerung, Selbstbesinnung der eigenen Kultur wurden. Auf allen Gebieten der Vokalmusik ist die Übersetzung grundlegend für die Rezeption außerhalb der Sprache der Ausgangskultur und für die Publikation der Kompositionen in der Zielkultur. Ohne Übersetzung fand bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts kaum eine Auseinandersetzung mit vokalen Gattungen in einer anderen Sprache oder eine Befruchtung durch sie statt. Opern, Oratorien, alle Gattungen von Liedern wurden in andere Sprachen übersetzt, selbst die Kriegslieder Th. Körners und C. M. von Webers (ins Französische).Nicht nur Literaten, Dramatiker und spezialisierte Übersetzer übertrugen gesungene Texte, sondern auch berühmte Librettisten, Komponisten oder Dirigenten, so u.a. Chr. H. Postel, Karl Alexander Herklots, G. Fr. Treitschke, Joseph Ritter von Seyfried, J. von Sonnleithner, H. Swarowski, H. Levi, M. Kalbeck, E. J. Dent, W. H. Auden etc. L. da Ponte z.B. schuf die italienische Fassung von Nicolas François Guillards und Chr. W. Glucks Iphigénie en Tauride für London (1796), nachdem zuvor Gluck mit Johann Baptist Edler von Alxinger eine deutsche Version (1781) angefertigt und dafür zahlreiche musikalische...